Careful Carriers of Now

Careful Carriers of Now

Alice Peragine
06.11.2021 –

Ab 5. November unter www.carefulcarriers.jetzt und im Stadtraum in Hildesheim.

Das Projekt „Careful Carriers of Now“ (etwa: „Behutsame Träger*innen des Jetzt“) ist eine Einzelausstellung der in Hamburg lebenden Künstler*in Alice Peragine online/im Kunstverein Hildesheim. Das hybride Projekt ist in Form einer Videoinstallation auf mehreren Geräten unter www.carefulcarriers.jetzt ab dem 6.11.2021 abrufbar und wird im November 2021 von Plakatwänden im Stadtraum Hildesheims begleitet.

 

 

Alice Peragine beschäftigt sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit dem Verhältnis zwischen Technologien, menschlichen Umweltbedingungen und Körpern. Dieses Verhältnis, das in seiner Ambivalenz immer neu auf dem Spiel steht, untersucht sie in Rauminstallationen, Videoarbeiten und Performances. Peragine thematisiert darin Abhängigkeitsverhältnisse zwischen technischen Entwicklungen und ihren ökologischen sowie sozialen Auswirkungen. Insbesondere Materialien und Medien, die in direkter Berührung zum menschlichen Körper verwendet werden und teils als Erweiterungen funktionieren, wie Schutzkleidung, medizinische Applikationen und so genannte smarte Technologien, wecken ihr Interesse.
 
Für die Ausstellung online/in Hildesheim hat sie sich Videomaterial gewidmet, das sie in den letzten Jahren gesammelt hat, wie etwa Aufnahmen aus den Serverräumen des Deutschen Klimarechenzentrums sowie Aufzeichnungen ihrer Performances. Hierbei kommen Techniken des Sampelns, des Wieder-Abfilmens und Neu-Zusammenstellens von Material zum Einsatz, die auf der Ebene der Materialitäten –  auch von digitalen Objekten, wie etwa den Pixeln oder den Glitches einer Videoaufzeichnung – Bedeutungszusammenhänge öffnen. Die Spiegelungen unserer eigenen Körper in den fleckigen, glatten Oberflächen der Geräte werden dabei ebenso befragt wie die Brüche in den digitalen Verbindungen.

Wie entsteht Nähe zu den Materialien, und wie zu den Menschen am anderen Ende der Leitung? Hängen die Kühlungen eines Serverraums mit unseren täglichen Erfahrungen beim Nutzen von Online-Angeboten zusammen? Die Linse der Kamera fokussiert auf ein Detail, zeigt Haut, suggeriert Nähe, während die Verbindung, wie mit einem provisorischen Verband, aufrecht gehalten wird. Der Bildschirm ist gleichzeitig Fenster und Spiegel, die Kamera wird zum Vehikel von Beobachtung, Nähe und Ausgesetztsein (Exposure). Alice Peragines Beobachtung von Kontrolle und Sichtbarkeiten anhand der täglich genutzten Technologien wie Smartphones mit ihren Bildschirmen und Oberflächen, der omnipräsenten (Selbst-)Überwachung und gleichzeitigen Dauererschöpfung, setzt in einer Zeit ein, in der die Erschöpfung von Mensch und Umwelt beobachtet werden kann. Zugleich spielt immer die Frage nach den Möglichkeiten eine Rolle: Worin liegt die schützende Funktion der Gerätschaften, mit denen wir uns ständig umgeben und wie kann die zwischenmenschliche Verbindung dabei ausgestaltet werden? Worin liegen die Ambivalenzen innerhalb unserer Alltagspraxen?

In Reaktion auf die weiter andauernde Pandemie-Situation und mit dem Wunsch, diese progressiv weiterzudenken, etwa indem die digitale Zugänglichkeit radikal in das Konzept integriert wird, wurde „Careful Carriers of Now“ als Online-Projekt gedacht. Die eigens für das Projekt von David Liebermann entwickelte Website ist Träger*in ist für eine Installation, die aus drei Videoarbeiten der Künstlerin besteht. Dieses kann als Dreikanal-Video-Installation zu Hause auf den eigenen Abspielgeräten, wie Smartphone, Computer oder iPad, angeschaut werden. Alice Peragine und David Liebermann haben so einen digitalen Ort entwickelt, der als Ausstellungsort dient und zugleich Teil der Installation ist – ebenso wie die Geräte des Publikums.

Die Ausstellung kann leicht selbst aufgebaut werden, indem www.carefulcarriers.jetzt auf mehreren Geräten geöffnet wird. Die Webseite erkennt das Abspielgerät und wählt den Anzeigemodus (etwa: Smartphone, Querformat) aus. Sind nicht genug (eigene) Geräte vorhanden, können sich mehrere Personen zusammentun und die Installation gemeinsam aufbauen.
Außerdem sind als Teil des Ausstellungsprojekts im November 2021 Plakatwände im Stadtraum Hildesheims (Str. Butterborn sowie Immengarten) zu besichtigen, die wiederum den Zugang zur Installation im Internet ermöglichen.

 
Alice Peragine (*1986) studierte bildende Kunst und Kunstgeschichte an der Universität Greifswald und zeitbasierte Medien an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg mit Auslandssemestern am Dutch Art Institute, Arnhem und am San Francisco Art Institute.
Ausstellungen (Auswahl): Haus der Kunst (Performance 2021) Lothringer 13 Halle, München (Einzelausstellung 2021); Studioraum 45cbm, Kunsthalle Baden-Baden (Einzelausstellung 2020); feldfünf e.V. Berlin (2020); Kunstverein Dresden (Einzelausstellung 2019); Et al, San Francisco (2018); Neues Museum, St. Petersburg (2017). Peragine war Teilnehmer*in des Rechercheprojektes Dear Humans an der TU Dresden (2017- 2019) und Villa Romana Stipendiat*in 2020.

 

 

Die Ausstellung wurde von Nora Brünger kuratiert und zusammen mit dem Ausstellungsteam durchgeführt.

Ausstellungsteam: Theresa Tolksdorf (kuratorische Assistenz), Maria Nesemann (Leitung Kunstvermittlung), Nina Toledano (Praktikum)
 

Bild oben:   Careful Carriers of Now, Alice Peragine, 2021
Bild unten:  Hartes Pflaster – Weicher Asphalt, 2021
Motiv 1 für Plakatwand im öffentlichen Raum Hildesheims von Alice Peragine im Rahmen des hybriden Projekts Careful Carriers of Now
Fotos: Mera Dorin Krautzig